Der Dachverband der Steirischen Frauen- und Mädchenberatungsstellen hat in den letzten Wochen Sichtbarkeit für die Erfahrungen von Frauen und Mädchen mit Alltagssexismus geschaffen. Die Berichte schockieren und zeigen, dass diese Sichtbarkeit ganz dringend notwendig ist!
Bereits im Sommer rief der Dachverband der Steirischen Frauen- und Mädchenberatungsstellen mittels seinen Kommunikationskanälen die Bevölkerung auf, ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus zu berichten. Diese Berichte sollten dann anonym, aber mit Alter und Ort der Erfahrung auf Social Media und der Website des Dachverbandes veröffentlicht werden.
Die Gründe für diese Kampagne
Aus Sicht des Vereins muss unbedingt eine Sichtbarkeit für die alltäglichen Erfahrungen von Frauen und Mädchen mit Alltagssexismus geschaffen werden!„Das Tückische an Alltagsexismus ist leider auch, dass er meist als „Normalität“ hingenommen wird. Es liegt nicht in der Verantwortung der von Sexismus betroffenen Person, diesen durch Verhaltensänderungen oder Ausweichreaktionen zu verhindern, sich dagegen zu wehren oder in jeder Situation einen schlagfertigen Spruch parat zu haben. Verantwortlich für sexistische Verhaltensweisen sind diejenigen, die sie ausüben – sei es bewusst, durch unreflektiertes Handeln entlang stereotyper Rollenzuschreibungen oder aufgrund benachteiligender Strukturen, die nicht hinterfragt werden. Da braucht es Information, Bewusstseinsbildung und insbesondere Stärkung von Betroffenen“, Obfrau Anny Lori Sperl vom Dachverband der Steirischen Frauen- und Mädchenberatungsstellen.
Viele Menschen verdrängen, wie präsent Alltagssexismus ist und wie schmerzhaft und unfair die Erfahrungen der Frauen und Mädchen sind. Gleichzeitig scheint es so, als hätten sich Betroffene sogar schon daran gewöhnt. Das darf nicht sein! Zum einen beraten die einzelnen Beratungsstellen des Dachverbandes der Steirischen Frauen- und Mädchenberatungsstellen Betroffene in diesen Situationen. Zum anderen gibt der Dachverband Betroffenen mit dieser Kampagne eine Plattform, mit dem Ziel, ein Umdenken anzuregen.
Was ist Alltagssexismus?
Alltagssexismus bezeichnet die alltägliche Diskriminierung und Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts. Es handelt sich um subtile und oft unbewusste Formen der Ungleichbehandlung, die in verschiedenen Situationen auftreten können, sei es am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Familie oder im öffentlichen Raum. Frauen und Mädchen sind besonders von Alltagssexismus betroffen.Ein Beispiel für Alltagssexismus ist die sprachliche Diskriminierung, wie das Benutzen abwertender oder herabsetzender Begriffe, Witze oder Kommentare. Auch die Erwartung, dass Frauen bestimmte traditionelle Rollen und Verhaltensweisen einnehmen sollten, wie die Pflege von Kindern oder die Hausarbeit, ist eine Form von Alltagssexismus. Genauso wie die Reduktion von Menschen auf ihre körperlichen Merkmale eine weitere Form von Alltagssexismus darstellt. Das kann sich in anzüglichen Bemerkungen, unerwünschten Berührungen oder in der Darstellung von Frauen als bloße Sexualobjekte zeigen. Alltagssexismus zeigt sich auch durch Lohnungleichheit, mangelnde berufliche Anerkennung oder die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen. Besonders ernste Formen von Alltagssexismus sind sexuelle Belästigung und Gewalt. Hiervon sind sowohl unerwünschtes Flirten und anzügliche Kommentare als auch unerwünschte Berührungen bis hin zu (schwerer) sexualisierter Gewalt umfasst.
Schreckliche Berichte von Frauen und Mädchen
Besonders oft berichteten die Frauen und Mädchen von Erfahrungen mit „Catcalling“, also anzüglichen und übergriffigen Bemerkungen und Sprüchen, die sie zu hören bekamen. Außerdem wurden einige Erfahrungen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz berichtet. Belästigungen erfuhren die Frauen teils vom Chef, den Arbeitskollegen, oder in der Gastro auch von Gästen. Es ist für Frauen und Mädchen auch noch immer schwer, in einem männerdominierten Arbeitsfeld zu arbeiten.
Traurige Erfahrungsberichte
So erzählt eine Frau, 18 Jahre alt aus Graz: „Ich habe eine Lehre zur Karosseriebautechnikerin gemacht und dementsprechend die Arbeitskleidung der Firma getragen. Bei einer Firmenfeier war ich dann in Privatkleidung. Da sagte ein Arbeitskollege zu mir: Du hast ja doch einen geilen Körper, Arsch und Titten.“Eine andere Frau, 23 Jahre alt, beschreibt eine ähnliche Erfahrung in Kapfenberg: „Ich habe mir fürs Studium in den Ferien etwas im Büro eines Metall-verarbeitenden Betriebs dazuverdient. Bei einer Sitzung, in der ich immer Protokoll führte, ging das Kabel zum Beamer schwer anzuschließen. Mein Chef hat dann mit ekeligem Grinsen angeboten, mir zu zeigen, wie man das richtig ‚reinsteckt‘. Er und die anwesenden Kollegen (nur Männer) fanden das sehr lustig.“
Selbst in der Schule erfahren Mädchen und Frauen Sexismus durch Lehrpersonal.Ein Mädchen, 17 Jahre alt und aus der Obersteiermark, teilte diese Erfahrung: „Im Gymnasium hatte ich einen Mathematiklehrer, der nur die normschönen Mädchen mochte und gut bewertete. Alle anderen (übergewichtig, alternativ, ungestyled) hat er an die Tafel geholt und vor der Klasse beleidigt und gemobbt. Einmal sagte er zu mir, ich solle lieber zum Supermarkt an die Kassa gehen. Da würde der Computer die Arbeit für mich machen, obwohl ich auch dort zu dumm zum Eintippen wäre. Ein anderes Mal hatte ich meinen Taschenrechner vergessen und bekam deshalb statt eines 2ers einen 4er ins Halbjahreszeugnis. Nachdem er die Schule verlassen hatte, war ich richtig gut in Mathematik.“Am Arbeitsplatz zeigte sich auch, dass viele Frauen auch als Expertinnen in ihrem Bereich nicht ernst genommen werden. Ihre Entscheidungen und ihr Können werden von Kollegen untergraben.
Eine Frau mit 27 Jahren aus Graz berichtet: „Ich arbeite in meinem Job im Krankenhaus nahe am Menschen und werde nahezu täglich übergriffig angesprochen, vorrangig von Männern. Ich habe in meinem Job oft das Gefühl, als Frau nicht ernst genommen zu werden und von den Ärzten (absichtlich nicht gegendert) bevormundet zu werden. Sie erklären mir dann meinen Job, obwohl ich Expertin in dem Fachgebiet bin.“
Auch körperliche Übergriffe und Gefahrensituationen wurden berichtet. Hier erzählten die Frauen von körperlichen Übergriffen beim Ausgehen, genauso wie im privaten Umfeld.Diese Frau, 20 Jahre alt aus Graz, gibt ihre Erfahrung wieder: „Ich bin bei einer öffentlichen Veranstaltung. Es ist schon spät am Abend und ich dränge mich durch die Menschenmenge hindurch zum Ausgang. Am Weg werde ich von mehreren Männern am Po angefasst. Sagen kann ich nichts, denn sie sind schnell wieder in der Menge verschwunden.“
Was man gegen Alltagssexismus tun kann
Als erste Handlungsempfehlung gilt: Betreiben Sie keinen Alltagssexismus! Sollten Sie sich falsch verhalten, dann entschuldigen Sie sich und lernen Sie daraus. Wenn Sie Zeug:in von Sexismus werden, dann leisten Sie dem Opfer Beistand. Thematisieren Sie respektvoll, dass sexistisches Verhalten nicht geduldet wird.Haben Sie selbst Erfahrungen mit Sexismus gemacht? Dann tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen aus und bildet gemeinsam eine Allianz. Bestärkt euch gegenseitig! Ganz allgemein gilt: Zeigen Sie sich mit Frauen und Mädchen solidarisch. Schaffen Sie Sichtbarkeit für Ihre Erfahrungen und setzen Sie sich gegen Sexismus ein.
Dachverband der Beratungsstellen
Der steirische Verein Dachverband der Steirischen Frauen- und Mädchenberatungsstellen dient der Koordination der gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit der einzelnen Frauen- und Mädchenberatungsstellen in den Regionen. Der Verein thematisiert frauenpolitische Themen und setzt sich für die Gleichstellung von Frauen und Mädchen ein. Dabei werden die einzelnen Beratungsstellen und weitere Multiplikator*innen weiterhin miteinander vernetzt und die Bevölkerung über diese Themen aufgeklärt.
Fotocredit: Dachverband der Steirischen Frauen- und Mädchenberatungsstellen